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  Grüße aus aller Welt
Durchlässig für die Zeit und die Veränderungen, die täglich oft fast unmerklich geschehen, ist die Kunst von Susanne Ahner. Bei allen ihren Projekten, Skulpturen und Fotografien geht es um den Moment des Innehaltens, in dem Räume und Dinge etwas von ihrem Gewordensein preisgeben.
Susanne Ahner hat Bildhauerei studiert bei Joachim Schmettau in Berlin, doch von Volumen, Masse und einem dinghaften In-die-Welt-setzen hat sie bald Abstand genommen zugunsten der Beobachtung und des unaufdringlichen Kommentars.
Wegnehmen, Freiräumen, Situationen klären: das sind ihre Methoden geworden. Die scheinbare Reduktion auf das Sachliche überwindet sie durch eine Offenheit, die in ihren Projekten Spielraum für andere läßt.

Für Susanne Ahner waren Fundstücke lange das Material künftiger Arbeiten. Inzwischen stellt sie mit Erleichterung fest, daß sie „nicht mehr alles zur Kunst machen muß”, was sich in ihrem Weddinger Atelier bis unter die Decke stapelt. Aber mit dem Sammeln ganzer Objektserien begann die Inventarisierung unserer Umwelt: Kunststoffrohre, Stapelkisten, Stühle, Vitrinen und Lampenschirme fanden in Materialfelder Eingang, die nüchtern und mit trockenem Humor unsere Vorstellungen von „etwas Sinnvolles herstellen” und „effektiv sein” untergruben.
Diese Interpretation des Lebens als tägliche Fleißarbeit, die sich mit neuen Materialien nur neue Anlässe für die Wiederholung alter Ordnungsmuster schafft, wird jetzt in fotografischen Serien fortgesetzt: zum Beispiel von den Plastikeinsätzen, die in Pralinenschachteln die Form der weggefressenen Süßigkeit als vorwurfsvolle Leere bewahren.

Doch vor allem interessiert Susanne Ahner, herauszufinden, „was der Raum verlangt”. Das kann ein Wald, ein Garten, der Zollraum einer aufgegebenen Spedition, ein Akademiesaal oder ein Bahnhof sein. Die Kontexte, auf die sie sich bezieht, wechseln: im Wald (bei Wiepersdorf, 1996) ordnete sie den Bäumen Fotografien von Bleistiften zu, um Natur als Rohstoff der Industrie und Ressource von Kunst zu thematisieren; in der alten Akademie der Künste am Pariser Platz bezog sie sich auf die Planung der großen Nord-Süd-Achse, die Albert Speer von dort aus entwickelt hatte. In einer zum Kunstraum umfunktionierten Wohnung reihte sie die Türen, die von den Künstlern immer wieder aus- und eingehängt wurden, wie zur Parade an einer Wand auf. Im Künstlerhaus Bethanien ersetzte sie alte Plakate des Kunstamts durch Fotos zusammengeknüllter Papiere und spielte damit auf den Kunstbetrieb an, der mit seinem Verlangen nach Neuem die Kunst selbst zur Wegwerfware macht.

Ihr bisher größtes Projekt war die „Zwischenstation” im Künstler-Bahnhof Westend. Von 1987 bis 2001 diente der Bahnhof als Atelierhaus der Karl-Hofer-Gesellschaft und als Ausstellungsort (heute kommerziell vermietet). Daß die Nutzung für die Kunst die funktionale Erschließung der Architektur zerstörte, Durchgänge verbaute und Ausblicke zustellte, ärgerte Susanne Ahner. Sie öffnete den Haupteingang und die Glaspassage zwischen dem Bahnhofsgebäude und den Bahnsteigen, entfernte Stellwände, putzte die Fenster. Die Blicke auf grünende Bäume und die Stadtautobahn gehörten ebenso zu ihrer Inszenierung wie Passanten, die die geöffneten Türen für eine Abkürzung nutzten.
Manche von ihnen blieben stehen, angelockt von den Postkarten, die Susanne Ahner und Freunde aus aller Welt gesammelt hatten und die jetzt auf den Fenstern angebracht waren. Die bunten Ansichten aus der Ferne dokumentierten eine Alltagsgeschichte des Reisens, passend zum Ort.

Das war Susanne Ahner nicht genug, die in ihrer Arbeit oft nach Kooperationsmodellen mit anderen Künstlern sucht. Deshalb hatte sie elf Künstlerfreunde eingeladen, für einen Tag Station zu machen.

Karla Sachse machte den Anfang mit einer Hängematte: die war aus Absendern, die aus Briefkuverts herausgerissen worden waren, geknüpft. Darin steckte eine Erinnerung an die Postüberwachung durch die Stasi in der ehemaligen DDR und an eine Zeit, als Reisen noch seltenes Privileg war. Renate Herter bezog sich auf die Zwangsansiedlung nomadischer Kulturen, Erika Klagge hatte Bahnhofsmusikanten ­ engagiert, Jan Henderikse sandte seinen Beitrag telefonisch aus der New Yorker U-Bahn. Gefunkt aus einem Künstleralltag, der zunehmend auf ein weites Kontaktnetz angewiesen ist, beleuchteten diese flüchtigen Schlaglichter den Preis für die Mobilität des heutigen Lebens. Durch dieses wechselnde Programm blieb die Ausstellung selbst in Bewegung, fast jeden zweiten Tag entstanden neue Situationen. Etwas von der Durchlässigkeit, die der Bahnhof durch das Freiräumen erhalten hatte, ließ auch die Arbeitsformen der Künstler selbst sichtbar werden.
Die Transparenz, die das Kunstmachen nur als eine Sonderform der Alltagsbewältigung erscheinen läßt, wurde hier sichtbar. Die Nähe zum täglichen Wust und Kampf der Sinnstiftung unterscheidet diese Form der Selbstreflektion von einer kalten Kunstbetriebskunst. Nicht die Regeln bestimmen ihr Spiel, sondern die Fluchtwege, die nur entdecken kann, wer sich ohne festen Plan auf den Weg begibt.


Katrin Bettina Müller In „Torso“, Publikation des Vereins der Berliner Künstlerinnen 1867 e.V. 2003 zuerst erschienen in Neue Bildende Kunst
Nr. 3/98

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